Legasthenie oder Lese-Rechtschreibschwäche (LRS)?

Es gibt viele Begriffe für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. Heute kennt man Lese-Rechtschreib-Schwäche, LRS, Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Störung, Dyslexie, isolierte Rechtschreibstörung, isolierte Lesestörung uvm. Bis heute wird die gesamte Problematik häufig aus medizinisch-psychologischer Sicht als Lese-Recht-Schreibstörung betrachtet. Die pädagogisch-didaktische Sicht kommt hierbei meist zu kurz.

Das Erscheinungsbild zwischen einer Legasthenie und einer Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) ähnelt sich beim ersten Hinsehen häufig. Daher werden beide Formen immer wieder als gleichbedeutend angesehen. Es gibt hier aber einen eindeutigen Unterschied.

Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS)

Die meisten Ursachen der erworbenen LRS hängen mit der sozialen Umwelt zusammen, die mit der Lernumwelt (Lernmethode, Klassenklima, Schulwechsel etc.) und der Sozialisierung (Sozialgefüge, familiäre Lernanreize etc.) der Betroffenen im Zusammenhang steht. Sie können dabei psychische Beeinträchtigungen begünstigen. In der Regel sind diese Schwächen als vorübergehende Schwierigkeiten zu verstehen und können gut und schneller bewältigt werden, als es bei der Legasthenie der Fall ist, weil sie von der sozialen Umwelt erworben worden sind. Bei einer Legasthenie spielt die soziale Umwelt bei der Bewältigung der Schwäche nur indirekt eine Rolle. 

Dazu gibt es eine kleinere Gruppe von Lese-Rechtschreib-Schwächen, die infolge organischer Beeinträchtigungen erworben sein können. Diese hängen häufig mit der frühkindlichen Entwicklung zusammen (Hirnschädigungen, Frühgeburten, Erkrankungen der Augen und Ohren). Auch diese Betroffenen haben häufig ähnliche Probleme, die auch zusätzlich in Verbindung mit psychischen Beeinträchtigungen, wie auch mit der kognitiven Entwicklung auftreten können.

Legasthenie (Dyslexia)

Eine Legasthenie ist überwiegend auf eine genetische Veranlagung zurückzuführen. Wahrnehmung und Denkweise spielen eine bedeutende Rolle. 

Fest steht: Legasthenie ist keine Störung, Behinderung oder Krankheit! Die Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Schreibens haben auch nichts mit Faulheit oder Dummheit zu tun. 

Man unterscheidet in Primär- und Sekundärlegasthenie. Von Sekundärlegasthenie spricht man, wenn der betroffene Legastheniker, aufgrund einer nicht bewältigten Legasthenie, zu seiner Legasthenie  seelische Behinderungen entwickelt. 

Es ist wichtig, Eltern und Lehrer für den Unterschied zwischen einer Legasthenie und LRS zu sensibilisieren. Legasthenes Denken ist verbunden mit einer anderen Art der Wahrnehmung, welche eine große Begabung sein kann. Das soziale Umfeld kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Legastheniker das Lesen und Schreiben auf pädagogisch-didaktischer Ebene bewältigen, um seelische Behinderungen zu vermeiden.    

Mögliche Symptome der legasthenischen Wahrnehmung

Bin ich Legastheniker?
Ist mein Kind Legastheniker?

Der Begriff ist sehr weit gefasst.

Lernbehinderungen aufgrund einer differenten Sinneswahrnehmung gibt es zu Hunderten. Sie begrenzen sich nicht nur auf die bekannten Lese-und Schreibschwierigkeiten. Alle Sinne können mehr oder weniger beeinflusst sein, so zum Beispiel Sehen, Hören, Gleichgewicht, Bewegung und das Zeitempfinden.

Sehen

  • Verwechslung oder Umkehrung von Buchstaben und Zahlen
  • Schwierigkeiten beim Buchstabieren
  • Auslassen und Überspringen von Wörtern oder ganzen Zeilen beim Lesen und Schreiben
  • Buchstaben und Zahlen bewegen sich, werden grösser oder kleiner

Hören

  • Schwierigkeiten, die Wörter richtig zu sagen
  • Laute hören, die nicht da sind. Laute nicht hören, die da sind
  • Töne als zu laut oder zu leise hören
  • unaufmerksames Zuhören

Gleichgewicht/Bewegung

  • Gefühle wie Schwindel oder Übelkeit während des Lesens/Rechnens
  • nicht still sitzen können
  • Schwierigkeiten mit der Handschrift

Zeitempfinden

  • Hyper- und Hypoaktivität
  • Schwierigkeiten beim Zeitablesen
  • Verwirrung mit Reihenfolgen
  • Größte Mühe, mathematische Konzepte zu begreifen
  • Den Faden bei Gedanken schnell verlieren

 

Typische Fallgeschichte eines Legasthenikers

Max, 11 Jahre, geht in die 5. Klasse einer Mittelschule. Beim Lesen und Schreiben hat er massive Probleme. Die Schrift ist teilweise kaum zu entziffern.

Zu seiner Kindergartenzeit war er ein vielseitig interessiertes Kind und hat sich sehr auf die Schule gefreut. Die Uhrzeit konnte er von der Zeigeruhr noch nicht ablesen, auch das Binden der Schuhe fiel im schwer. Seinen Eltern fiel vor allem auf, wie sensibel und feinfühlig er Stimmungen in der Familie wahrnahm. Auch bekam er viel aus seiner Umwelt mit und verfügte über eine ausgeprägte visuelle Wahrnehmung. Er konnte Menschen schnell einschätzen. Zum Spielen brauchte er nicht unbedingt ausdrucksstarkes Spielzeug: einfach gefundenes Material kombinierte er zu komplexen Welten, in denen er sich vertieft stundenlang mit Spielen vergnügen konnte.

In der 1. und 2. Klasse war der Kontakt zur Lehrerin noch vertrauensvoll. Im Gegensatz zur Lehrerin in der 3. und 4. Klasse. Simon fühlte sich wegen der schlechten Leistungen abgelehnt und zurückgesetzt. Er träumte in den Stunden und konnte sich nur schwer auf den Unterricht konzentrieren. Hatte seine Lehrerin in der 1. und 2. Klasse zuerst noch gedacht, die Probleme würden sich noch auswachsen, hieß es dann, er müsse mehr üben, üben, üben…! Es zeigten sich erste Stresssymptome, wie z.B. Bauchschmerzen oder feuchte Hände. Zunächst half das Üben tatsächlich, dann aber schienen die vielen Wiederholungen eher das Gegenteil zu bewirken, durch Anspannung und Stress stieg die Fehlerquote deutlich an. Es waren auch nicht die gleichen Fehler - bestimmte Wörter erschienen in allen möglichen Schreibvarianten. Schließlich zeigte er auch in anderen Fächern schlechtere Leistungen. War der Mathematikstoff noch kein Problem gewesen, so hatte er nun große Probleme mit Textaufgaben und Aufmerksamkeitsfehlern. Nur in Sport und Kunst zeigte er herausragende Leistungen und überraschte immer wieder durch Kreativität. Für die Hausaufgaben benötigte er in der Regel mehrere Stunden. Seine Gedanken drifteten oft ab und es kam immer wieder zu Stress- und Streitsituationen mit seiner Mutter. Die Situation belastete die Familie. Es ist zu erkennen, dass Simon in den "Teufelskreis der Lernstörungen" geraten war und darunter sehr litt. Die schlechten Leistungen und der Misserfolg veränderten sein Selbstbild, er zweifelte an seinen Fähigkeiten. 

Er musste die 4. Klasse wiederholen, was jedoch ebenfalls zu keinem Erfolg führte. Die Leistungen wurden nicht wesentlich besser. Erst dann äußerte die Lehrerin, dass Simon Legastheniker sein könnte.

Zusammen mit Simon entschieden sich die Eltern für eine Legasthenie-Therapie. 

Er lernte, dass Legasthenie keine Krankheit oder Behinderung ist und dass „legasthenes Denken“ durchaus Vorteile hat. Das stärkte das Selbstbewusstsein. Er hat gelernt seine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Dadurch kann er dem Unterricht besser folgen. Er hat verstanden, dass er es in seiner Verantwortung hat, das Lernen zu verbessern. Er lernte geeignete Lernstrategien, welche auch die besondere Fähigkeit des bildhaften Denkens nutzen. Dadurch entstanden erste Erfolge, die wiederum das Selbstvertrauen und die Motivation stärkten.

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